Herr Doktor, bitte schnell eine neue Hüfte!
Dieses Bild werde ich nie vergessen, wie ich als Fünfjährige am Gitterbettchen meiner jüngeren Schwester stand. Sie tat mir so unendlich leid, wenn sie aus Verzweiflung schrie, weil sie nicht strampeln konnte. Ich verstand nicht, warum die Erwachsenen so etwas zuließen. Die Kleine lag in einer mit grauem Filz überzogenen Gipsschale. Die Beinchen waren nach außen gedreht und mit Ledergurten fixiert. Meine kleine Schwester hatte eine angeborene Hüftdysplasie, d.h. die Gelenkpfanne ist zu klein bzw. zu wenig tief, so dass der Hüftkopf des Oberschenkels nicht fest darin liegt.
Dass ich dieses Hüft-Problem, das vererbbar ist und vor allem die weiblichen Nachkommen trifft, auch mit auf die Welt bekommen habe, konnte ich damals noch nicht ahnen. Erst sehr viel später machte sich die Dysplasie bei mir bemerkbar. Warum sie so lange unentdeckt blieb? Ich habe mein ganzes Leben lang viel und extrem Sport betrieben. Deshalb war die Muskulatur so stark ausgebildet, dass sie den Geburtsfehler über Jahrzehnte hinweg ausgleichen konnte.
Etliche falsche Diagnosen
Irgendwann hatte ich ab und zu Schmerzen in der Leistengegend. Physiotherapeuten behandelten den Trochanter. Das ist ein Muskel, der von der Innenseite des Kreuzbeines nach aussen am seitlichen Knochenvorsprung des Femurs (Oberschenkelknochen) andockt. Ein Orthopäde wiederum tippte auf die Lendenwirbelsäule und verödete mir – äußerst schmerzhaft, weil nur ohne Betäubung möglich – Nerven im unteren Rücken. Wenn die Schmerzen im Bein wieder stärker wurden, rief ich ihn an und ließ mich des öfteren für einen Flug – ich musste beruflich viel reisen – fit spritzen.
Als der Schmerz blieb
Es ist etwa drei Jahre, als die Schmerzen immer stärker wurden. Ich ständig Schmerzmittel brauchte. Ich suchte einen bekannten Orthopädie-Professor in München auf, den mir eine Freundin empfahl. Das MRT war eindeutig. Dysplasie beider Hüftgelenke, links schlimmer als rechts. Er meinte, dass die Operation und ein künstliches Hüftgelenk irgendwann unausweichlich seien. Für mich eine grauenhafte Vorstellung, deshalb beschlossen wir, den Eingriff hinauszuzögern und den Schmerz erstmal konventionell zu bekämpfen. Mit einer Eigenblut-Injektionen. Längst ein Standardverfahren.
Dabei wird Venen-Blut entnommen und daraus das PRP (Platelet Rich Plasma), wie es auch in der ästhetischen Medizin für das so genannte Vampir-Lifting verwendet wird, gewonnen. Mit Hyaluronsäure versetzt werden die im Blutplasma enthaltenen Wachstumsfaktoren direkt ins Hüftgelenk eingespritzt, um die Reibung von Knochen auf Knochen zu vermindern. Es funktionierte. Nach sechs Spritzen war ich schmerzfrei. Ich war überglücklich.
Knapp drei Jahre ging alles gut. Ich konnte einwandfrei laufen, Sport machen. Als mich eine Bekannt, selbst Ärztin, jedoch Anfang dieses Jahres beim gemeinsamen Hundespaziergang fragte, ob ich Probleme mit der Hüfte hätte, wurde mir klar, dass sich mein Gang verändert hatte. Ich suchte einen befreundeten Orthopäden auf und bat ihn, es nochmals mit der Eigenblut-Therapie zu versuchen. Dieses Mal half sie nicht. Am 10. Mai konnte ich kaum noch gehen, hatte extreme Schmerzen. Es wurde eine erneutes MRT gemacht. Diesmal war die Diagnose eindeutig: Ein Implantat musste her und die linke Hüfte ersetzen.
Gesucht: der Operateur meines Vertrauens
Gar nicht so einfach, den geeigneten Operateur zu finden. Er soll nicht nur fachlich gut sein, auch die Chemie muss stimmen. Mein Orthopäde stellte mir drei Kollegen in Aussicht, die den Eingriff minimalinvasiv durchführen würden – das heißt, ohne Durchtrennen des Muskels. Einen Professor, von dem er sagte, dass er exzellent in seinem Fach sei, aber schwierig als Mensch, strich ich sofort von meiner Liste. Nummer 2 war mir auf den ersten Blick sympathisch. Kompetent, natürlich, unaufgeregt. Kein Halbgott in Weiß. Es folgten weitere Untersuchungen, der Termin für die künstliche Hüfte wurde für Ende Juni festgelegt.
Weil ich genau wissen wollte, welches Ersatzteil ich in Zukunft in meinem Körper trage, zeigt mir der Arzt ein Muster des Implantat: Es besteht aus einem Titan-Schaft, am unteren Ende ummantelt mit Hydroxylapatit, wie man es auch für den Zahnknochenaufbau benutzt. Der Schaft wird in den Oberschenkel eingesetzt und darauf der Gelenkkopf aus Keramik befestigt, der in einer ebenfalls mit Keramik ausgekleideten Pfanne liegt. Er erläuterte, dass Keramik ein äußerst abriebarmes Material sei und damit einer Lockerung vorgebeugt würde.
Die Wartezeit bis zum Eingriff kommt mir unendlich lang vor. Ständig Schmerzen, ständig neue und stärkere Schmerzmittel in immer höheren Dosen, weil die schwächeren nicht mehr helfen. Alle paar Stunden muss ich eine Tablette einnehmen, damit sich das Schmerzgedächtnis nicht manifestieren kann. Wenn alles nichts hilft, habe ich ein Opinoid, eine synthetische Substanz mit morphinartigen Eigenschaften. Es ist allerdings so stark, dass ich es allenfalls nachts einnehmen kann. Es dämmt den Schmerz, schießt mich aber so weg, dass ich tagsüber völlig umnebelt bin und weder schreiben noch Autofahren kann.
Stylisch am Gothic-Stock
Trotz Medikamente habe ich eigentlich immer Schmerzen in unterschiedlicher Heftigkeit. An manchen Tagen sind sie morgens so stark, dass ich nicht aufstehen kann, um mit meinem Hund Byron seine Frührunde zu drehen. Dann muss mein Mann einspringen. Manchmal klappt es, wenn ich einen Stock zu Hilfe nehme. Schwarz mit einem silbernen Hundekopf als Griff. Ich hab ihn noch von einem Gothic-Kostümfest und hätte nie gedacht, dass ich ihn mal im Alltag brauchen würde.
Die Unterarmstützen in Gelb für die ersten Wochen in Klinik und in Reha musste ich im Sanitätshaus extra bestellen. Für den tristen Anlass wollte ich weder die vorrätigen in Schwarze noch in Grau, sondern wenigstens eine sonnige Farbe. Momentan stehen die gelben Krücken noch in der Ecke und warten auf ihren Einsatz. Mein Operateur meinte, ich solle sie ruhig schon vor dem Eingriff nehmen, um mich auf das Danach einzustimmen. Aber irgendwie widerstrebt mir das. Ich finde, es kommt noch früh genug auf mich zu. Wenn man nicht richtig laufen und vor allem nicht ganz aufrecht gehen kann, fühlt man sich ohnehin schon miserabel, aber das noch an Krücken zu demonstrieren… Nein, danke, da gehe ich lieber stylisch am Gothic-Stock.
Am schlimmsten ist für mich, dass ich extrem unter dem Bewegungsmangel leide. Trotz wenig Essen, weil ich wenig Appetit habe, habe ich drei Kilo zugenommen. Wie gesagt, kann ich keine langen Spaziergänge mit dem Hund mehr machen, sonst sind wir täglich mindestens acht Kilometer gelaufen. Ich kann nicht mehr ins Fitnessstudio und noch nicht mal mehr abends bei meinen Yoga-Ritualen entspannen. Die Tabletten machen mich ohnehin so müde, dass ich spätestens um 22 Uhr völlig erschöpft ins Bett falle. Inzwischen sehne ich den Operationstermin herbei, um endlich die Schmerzen los zu werden.
CultureAndCream-Autorin aus München
Beruflich als Beauty-Journalistin zu reisen, war mir nicht genug. Sechs Monate Weltreise haben auch nicht gereicht. Immer wieder zieht es mich in andere Städte, fremde Länder, zu Roadtrips und an Locations, die man kennenlernen sollte. Mich interessieren nicht nur „culture“ und „cream“, sondern auch Menschen, die Geschichten zu erzählen haben. Auf solche Reisen möchte ich euch mitnehmen.