Martin Margiela – Eine nie erzählte Geschichte
„Margiela – Mythos der Mode“. So heißt der neue Dokumentarfilm von Reiner Holzemer über den Fashion-Designer Martin Margiela, der am 15.10. in die deutschen Kinos kommt. Selbst wer den Namen nicht kennt, sein Logo mit den „4 Stiches“ hat jeder schon mal gesehen.
Ein Händepaar, eine ruhige Stimme und eine sehr persönliche Geschichte. Martin Margiela ist dafür bekannt, dass er nie sein Gesicht zeigen wollte. Auch auf dem Höhepunkt seiner Karriere gab er keine Interviews. Nun eröffnet er dem Zuschauer einen Blick auf seine ganz eigene Welt. Sein Werdegang, Stationen der Karriere, Erinnerungen an die Kindheit und tiefe Einblicke in sein Seelenleben. Nicht vordergründig direkt, sondern sehr subtil in einer fast künstlerisch anmutenden Erzählweise. Im Film immer wieder manifestiert an Margielas Händen, die in eleganten, feinsinnigen Bewegungen mal einen Stoff zurechtrücken oder ein Skizzenbuch aus frühen Kindheitstagen öffnen. Dieses Bild, seine Hände vor schlichtem Weiß wie in einem Rahmen gefasst und wie ein Stillleben anmutend, ist ein wiederkehrendes Stilelement. Es wird den ganzen Film hindurch beibehalten. Poesie für den Betrachter, die die Nähe zu einem als unnahbar geltenden Designer hervorruft.
Martin Margiela. Er berührt. So oder so.
Er provozierte als Avantgarde – Designer. Margiela war von 1984 bis 1987 der Assistent von Jean-Paul Gaultier. 1987 gründete er sein eigenes Label Maison Martin Margiela. Damals entstanden auch die „4 Stitches“ – das Markenzeichen Margielas. Ein Logo mit vier Stichen und einer Nummerierung. Ungewöhnlich. Gewöhnlichkeit geht ohnehin nicht konform mit diesem Designer. Margiela revolutionierte die Schauen. Er schickte seine Models mit Masken auf den Laufsteg. Seine Shows glichen Rockkonzerten. Abgehalten wurden sie in Theatern, selbst Parkplätze dienten ihm als Location. Er hat sich in allem unterschieden, was ihm einen extreme Anziehungskraft einbrachte. Man wollte seine Styles haben. Er kreierte nie zuvor gesehene Kollektion-Highlights: der „Sock-Sweater“, ein Sweatshirt aus Military-Socken, oder das „Gloves-Top“ aus aneinander genähten Handschuhen. Das „Plastic-Grocery-Top“ ist aus umgestalteten Plastiktüten gestaltet. Um nur einige seiner provokantesten Entwürfe zu nennen.
Er verblüffte und überraschte
Der Film berichtet auch über Margielas erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Luxushaus Hermès. 1997 wurde er überraschend zum Chefdesigner der Damenmode ernannt. 12 Kollektionen erstellte der Modemacher für das französische Traditionshaus. Das konservative Luxuslabel Hermès traf auf die avantgardistischen und eigenwilligen stilistischen Ideen des Modeunternehmens Maison Martin Margiela, das alle ästhetischen Werte der damaligen Zeit hinterfragte und regelrecht demontierte. Gegensätzlicher hätten die Designhäuser nicht sein können. Sechs Jahre arbeitete Margiela für das Traditionshaus und hinterließ eine zeitlose Eleganz, die sich auch heute noch in der Handschrift von Hermès widerspiegelt. Ebenso überraschend wie sein Wirken war auch sein Abschied. Wortlos. Am 29.September 2008 feierte Maison Martin Margiela in Paris sein 20-jähriges Bestehen. Nach 20 Jahren und 41 avantgardistischen Kollektionen verließ der Designer die Modewelt. Noch am Abend seiner letzten Schau zog er sich ohne öffentliche Ankündigung endgültig zurück und verkaufte sein Modeunternehmen.
Ein intimes Portrait eines Ausnahme-Designers
Dokumentarfilmer Reiner Holzemer hat Martin Margiela im Atelier und privat gefilmt. Immer wieder erscheinen die Hände des Designers in Großaufnahme auf der Leinwand. Er erklärt mit ruhiger Stimme seine Entwürfe und erzählt aus seiner Kindheit. Martin Margiela legt seine Gedanken offen dar und ist dem Betrachter greifbar nah. Dieses wohl persönlichste Portrait eröffnet eine neue Sichtweise auf die Person Martin Margiela und den Avantgarde-Designer Margiela, der zum Mythos wurde. Mystery Man, Fashion invisible Superstar, das Phantom der Modewelt – so titelte die Presse über ihn. Ein Modedesigner, der nie vor einer Kamera erschien und sich nirgendwo zeigte. Die Bewunderung war groß, aber seine Anonymität wurde nie ganz verstanden. War es Extravaganz? Ein Marketing-Gag? War er scheu? Oder hasste er die Presse mit all ihrer Neugier? Wer diesen Film gesehen hat, wird es endlich verstehen. Margiela mit seinen eigenen Worten: „Anonymity is a protection of my person. As a designer and also as a person. They would bring me out of my balance.“ So denken wahre Künstler. Sein Hauptanliegen: Der Fokus sollte allein auf seine Kreationen gerichtet sein und nicht auf ihn als Person. Deshalb schickte er auch seine Models mit von Schleier oder Masken verhüllten Gesichtern auf den Laufsteg: „No face, only the garment and the movement of the garment and I love it!“. Mit all seiner Ideenvielfalt hat Margiela sein ganz persönliches Ziel erreicht: „Ich wollte immer etwas machen, was es noch nie gegeben hat.“
Final Cut
Dokumentarfilmer Reiner Holzemer über seine Mode-Doku: „Sie zeigt nicht nur eine Erfolgsstory. Es ist die Geschichte eines Mannes, der seinen eigenen Weg gegangen ist und durch seine Einstellung unsterblich wurde.“ Am Ende des Films bleibt der Mensch Martin Margiela in Erinnerung. Der Künstler unter den Modemachern. Und genau das macht Margiela heute. Er hat sich der Kunst, der Malerei und der Bildhauerei verschrieben. Mit „Margiela – Mythos der Mode“ hat Holzemer ein sehr persönliches Bild von Margiela geschaffen. Es liegt nah, dass er mit sehr viel Fingerspitzengefühl und ebenfalls einem ausgeprägten Gespür für das Feinsinnige an die Sache heran gegangen ist. „Meine Arbeit als Dokumentarfilmer ist sehr persönlich und intim. Sie gewährt mir oft private Einblicke in das Leben unterschiedlichster Menschen. Diese Eindrücke auf diskrete Art und Weise zu vermitteln, das ist mein Ziel, welches ich mit meinen Filmen verfolge“, so Holzemer. Er hat Margielas Wunsch anonym zu bleiben respektiert und ein faszinierendes Portrait des „Banksy of Fashion“ geschaffen. Der Hollywood Reporter hat Holzemers Film zum besten Mode-Dokumentarfilm des Jahrzehnts gewählt.
Zur Person Reiner Holzemer: Seit 1983 arbeitet Reiner Holzemer als Dokumentarfilm-Regisseur. Die Portraits international renommierter Künstler, insbesondere aus den Bereichen Fotografie und Mode, stehen im Fokus seines bisherigen Schaffens. Der Filmemacher hat unter anderem „DRIES“, ein Portrait über den Mode-Designer Dries van Noten, produziert. Sie war eine der erfolgreichsten Mode-Dokumentation, wurde auf 17 Festivals gezeigt, in über 60 Länder verkauft (Kinos, TV, VOD, DVD, Netflix).
Zur Person Martin Margiela: Der belgische Mode-Designer wurde am 09. April 1957 geboren. Zur gleichen Zeit wie seine Kollegen von den Antwerp Six hat er an der Königlichen Akademie der schönen Künste in Antwerpen studiert. Er startete seine Karriere als Assistent von Jean Paul Gaultier. 1988 gründete er sein Label Maison Martin Margiela. Bekannt wurde er als der Meister der „Deconstruction“. Er liebte es, Styles aus ungewöhnlichen Materialien zu kreieren. Ab 1997 war Margiela auch als Chefdesigner für Hermès tätig. Heute gehört das Label Maison Margiela zur Holding OTB des italienischen Modeunternehmers Renzo Rosso mit John Galliano als Chefdesigner.
Für alle Mode – und Kunstliebhaber wird es in Paris eine Martin Margiela Ausstellung geben: 5. März bis 16. Mai 2021 in der Fondation Lafayette Anticipations (Änderungen sind auf Grund der aktuellen Corona – Pandemie möglich. Bitte informieren Sie sich im Vorfeld auf der Homepage der Fondation.
Culture&Cream Autorin Petra Springer
Aus dem Bereich Fashion-Illustration & Design Studies an der Meisterschule für Mode, München, kommend, war ich lange Jahre als Fashion-Director für verschiedene Magazine tätig. Seit zwei Jahren arbeite ich als Content-Editor für Online-Portale und entwickle gezeichnete Modekurzfilme. Weiterbildung: Illustration & Fashion Drawing, FIT, Fashion Institute of Technology, New York City. In München: Visual Communications, Wildner Akademie, Zeichnen & Malerei Studien, Akthof, Aktzeichen & Anatomisches Zeichnen, Akademie für Bildende Künste.