Markus Rock: provokativ und tiefgründig
Die großformatigen Bilder des Fotokünstlers Markus Rock sind alles andere als leichtverdauliche, gefällige Kompositionen. Seine Werke, die er bereits auf vielen internationalen Ausstellungen wie der NordArt gezeigt hat, rütteln auf und stimmen nachdenklich.
Im Mittelpunkt des fotografischen Werkes von Markus Rock steht die Frage, was es in der heutigen Gesellschaft bedeutet, Mensch zu sein. Seine frühen Serien zeigen nackte weibliche und männliche Körper wie schwebend auf schwarzen Flächen und konfrontieren uns so mit verschiedensten Zuständen individueller Körperlichkeit. Sie thematisieren aber gleichzeitig auch die universelle menschliche Sehnsucht nach Nähe und bedeutsamen Beziehungen. Der menschliche Körper, so Rocks These, ist eine Landschaft, in der die täglichen Kämpfe um menschliche Identität und Individualität – individuell und kollektiv – eingeschrieben werden. Die ultra-realistische Ästhetik von Rocks Fotografien kann den Betrachter zutiefst beunruhigen, da in jedem Bild die Grenze zwischen der physischen Realität des Körpers und seiner visuellen Repräsentation offen, porös und undefiniert erscheint. Rocks kraftvolle Bilder berühren den Betrachter deshalb so tief, weil sie uns zwingen, uns daran zu erinnern, dass die Kämpfe und Auseinandersetzungen um das Menschsein, die wir bei ‘dem Anderen‘ beobachten, immer Bestandteil unserer eigenen Identitätssuche sind.
Bedeutungen des Menschseins
Auch in seinem jüngsten Werk beleuchtet Rock die verschiedenen Bedeutungen des Menschseins in der heutigen globalen Welt. Was ihn hier aber nun besonders interessiert ist die Rolle der materiellen Dinge im Erleben des menschlichen Seins. Verweisen Dinge auf mehr als ihre Dinglichkeit und ihren unmittelbaren Gebrauchswert? In seiner Suche nach den Bedeutungsdimensionen der Dinge ist Rock vom klassischen Genre der Vanitas-Stillleben inspiriert. Die eindrucksvoll realistischen und sorgsam arrangierten Bilder kamen im Goldenen Zeitalter der niederländischen und flämischen Kultur im 16. und 17. Jahrhundert in Mode und schmückten die Salons der Kaufmanns- und Bürgerschicht. Der Reichtum der Mäzene wurde hier ganz öffentlich zur Schau gestellt, und sie feierten den Menschen, seinen Erfindungsreichtum und künstlerischen Fähigkeiten, in dem sie kostbare Kunstgegenstände und seltene Kuriositäten der Natur mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen kombinierten: Blumen, Brot, Käse, Obst und Gemüse, Bücher, Juwelen, goldene und silberne Weinkelche, wissenschaftliche Instrumente, Karten, Spiegel, venezianisches Glas, chinesisches Porzellan, Silberbesteck, indische Stoffe und türkische Teppiche. Diese opulenten Gemälde waren damals – und sind es noch heute – ein Fest für alle Sinne. Einige der dort dargestellten Gegenstände, wie zum Bespiel die Sanduhr und besonders der menschliche Schädel, verwiesen aber auch auf eine tiefere philosophische und religiöse Botschaft. „Alles ist Eitelkeit“ mahnten sie den Betrachter und erinnerten damit an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Persönliche Eitelkeiten, das Streben nach Macht oder Reichtum sind bedeutungslos, warnten die Bilder. Der Kern der menschlichen Natur – ewig, unveränderlich –ist die göttliche Seele. Der christliche Glaube speiste den komplizierten allegorischen Symbolismus der Stilllebenkompositionen. Jedes dargestellte Objekt barg eine tiefere, unsichtbare Bedeutung, die der fromme Betrachter zu entschlüsseln hatte. Nur auf den ersten Blick feierte ein Vanitas-Gemälde daher weltliche Besitztümer und menschlichen Innovationsgeist. Ihre überfließende Dinglichkeit zielte im Grunde darauf ab, die Betrachter spirituell zu berühren und ihren Glauben zu festigen.
Moderne Vanitas-Symbolik
Eine einzigartige Ästhetik vermittelte diese Mehrdeutigkeit der frühneuzeitlichen Gemälde, von der sich auch Rock zu seinen sorgfältig inszenierten 12 Vanitas-Fotografien inspirieren ließ. Aber seine dunklen Kompositionen, in denen sich viele Anspielungen auf die traditionelle Vanitas-Symbolik finden lassen, verweisen nicht nur auf die Vergangenheit sondern insbesondere auf die Gegenwart. In jedem seiner Bilder findet sich zum Beispiel ein Totenschädel (er spielt bereits in den frühneuzeitlichen Vanitas Bilder eine zentrale Rolle), in einer sorgfältig komponierten Szenerie aus zeitgenössischen Konsumgütern. Oftmals enthalten diese Konfrontationen eine Prise Humor. Arrangements wie die „Unterhaltung“ des menschlichen Schädels mit einer leeren und scheinbar hastig weggeworfenen Chipstüte oder die Kollektion ramponierter Plastikspielzeuge sind sogar lustig. Aber das Lachen bleibt uns im Hals stecken. Man fragt sich unwillkürlich, was es in unserer globalen Konsumgesellschaft bedeutet, Mensch zu sein. Was sind und können wir als Menschen sein, wenn wir nichts anderes konsumieren als billige Massenware, die dann auf dem Müll landet?
Globale Trash-Kultur
Was bleibt von dem Glauben unserer frühneuzeitlichen Vorfahren an die einzigartigen Fähigkeiten des Individuums, die sie in ihren Vanitas Bildern so glühend verehrten? Ist der Totenkopf eigentlich immer noch ein verständliche Mahnung an die Vergänglichkeit des Lebens in einer Gesellschaft in der die kognitiven Biowissenschaften uns versprechen, bald in der Lage zu sein, das Geheimnis des ewigen Lebens in unserem Gehirn zu entschlüsseln? Was bleibt von den gepriesenen irdischen Genüssen in den frühneuzeitlichen Vanitas Bildern, wie die einer köstlichen Mahlzeit, wenn sie in aller Eile aus einer Plastikverpackung verzehrt wird? Hat die materielle Welt für uns wirklich keine tiefere Bedeutung mehr? Verweist sie nur noch auf den unmittelbaren Gebrauchswert der Dinge? Rocks Vanitas-Bilder feiern die menschlichen Sinne und das Sein und doch lassen sie uns mit ihrem Verweis auf den unaufhaltsam wachsenden Konsum einer globalen Trash-Kultur gleichzeitig verunsichert zurück. Für den Betrachter bleibt die alte Frage: Wer bin ich in all dem?
About: Markus Rock wurde 1962 in Solingen geboren und begann seine Laufbahn als Make-up-Künstler, Stylist und Produktionsdesigner, bevor er selbst als Fotograf tätig wurde. Nach 25 Jahren in San Francisco, München, Paris und Barcelona, wo er für eine Vielzahl internationaler Kunden wie Vivienne Westwood, Harper’s Bazaar, Madame, Levis, MTV und Sony Music arbeitete, zog er 2008 nach Berlin. https://up-n-co.com/
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CultureAndCream-Autorin aus München
Beruflich als Beauty-Journalistin zu reisen, war mir nicht genug. Sechs Monate Weltreise haben auch nicht gereicht. Immer wieder zieht es mich in andere Städte, fremde Länder, zu Roadtrips und an Locations, die man kennenlernen sollte. Mich interessieren nicht nur „culture“ und „cream“, sondern auch Menschen, die Geschichten zu erzählen haben. Auf solche Reisen möchte ich euch mitnehmen.