Duft spezial: Tanz der Moleküle
Tausendmal gerochen, vielleicht sogar genau jetzt in diesem Moment. Und doch kennen wir meist ihre Namen nicht. Dabei sind synthetische Duftstoffe, die Moleküle, die Big Player in der Parfumkreation. Und das ganz wörtlich: Ohne sie ist ein spielerischer, manchmal provokativer, Ansatz im Duftdesign nicht vorstellbar. Auch viele der großen Klassiker gäbe es ohne sie nicht. Denn die synthetischen Duftmoleküle sind keine Erfindung aus den heutigen Tech-Labors: Erstmalig wurde ein Molekül namens „Coumarin“ 1882 im Duft „Fougère Royale“ eingesetzt. Auch No. 5 von Chanel hätte nicht diesen Impact ohne die Aldehyde und was wäre wohl Shalimar von Guerlain ohne seine unverwechselbare Note, die es Ethyl-Vanillin verdankt. Das New Yorker Label Nomenclature feiert diese Moleküle in besonderer Weise. C&C-Autorin Margit Hiebl sprach mit einem der Gründer, Karl Bradl (den sie aus seiner Münchener Zeit kennt).
Woher kommt der Name?
Aus dem Lateinischen, von nomen=Name und calare=benennen. Und nomenclatura bedeutet soviel die Benennung, etwa mit Begriffen oder Symbolen in der Wissenschaft oder Kunst.
Was ist die Idee hinter Nomenclature?
Als wir die Brand 1995 starteten, sprach man weder in der konventionellen noch in der Nischen-Duftwelt über molekulare Inhaltsstoffe. Mit Nomenclature wollten wir die Aufmerksamkeit auf diese Duftbausteine lenken, die bei einer Parfumkreation häufig das Quäntchen Magie hinzufügen. Die Linie feiert also das Design in der „perfume chemistry“, indem die inspirierendsten und exklusivsten Moleküle herausgestellt werden – manche so exklusiv, dass sie von den Duftherstellern geradezu wie Gefangene bewacht werden.
Was ist denn das Besondere an den Molekülen, die im Mittelpunkt eurer Parfums stehen?
Mit unseren Kreationen haben wir einige der wichtigsten Moleküle, die die letzten Dekaden beeinflusst haben, gehighlightet. Hedione etwa, das in unserem „Efflo_esce“ steckt, wurde erstmals 1962 synthetisiert und ist einer der wichtigen Bestandteile von Dior’s „Eau Sauvage“ aus dem Jahr 1966. Oder Calone: Es hat in den 90ern sogar eine neue ikonische Duftfamilie, die aquatischen Düfte, hervorgebracht – es strahlt im Mittelpunkt von „Fluo_ral“. Oder Coumarin, das wir in unserem letzten Duft „Psy_cou“ verwendet haben. Es ist das erste Molekül, das Parfumeuren überhaupt ermöglicht hat, den Schritt von der Vergangenheit in die Moderne zu machen. Es wurde erstmals 1882 in einem bahnbrechenden Duft, „Fougère Royale“, verwendet und dieses synthetische Wunderding wurde der Zündfunken für eine neue Ära des künstlerischen Ausdrucks. Der Name geht übrigens auf kumarù, das Wort für den Tonkabohnen-Baum auf Tupi, einer Sprache aus dem Amazonas-Gebiet, zurück. Coumarin ist aber nicht nur der Ursprung der modernen Parfümerie, sondern immer noch eines der wichtigsten Stoffe in der Parfumindustrie.
Was ist die Herausforderung bei diesem Konzept?
Die Kreation nicht mit Inhaltsstoffen zu überladen, aber eine Innovation zu schaffen. Das Molekül muss strahlen dürfen.
Du bist eigentlich Banker, woher kommt die Leidenschaft für Parfums?
Es fing damit an, dass mir meine Mutter Anfang der Achtziger zu Weihnachten eine Flasche Rothschild schenkte. Ich war so fasziniert, dass ich anfing alle Parfümerien im Umkreis meiner Heimatstadt Passau zu durchstöbern. Mein Duft-Regal wuchs schnell, ich hatte alle Top-Design-Düfte der Eighties, von Armani, YSL (Kouros) bis Dior (Poison). Doch irgendwann hat’s mich gelangweilt, dass alle nach denselben Düften rochen. Das hat mich nicht mehr interessiert.
Was hat die Faszination zurückgebracht?
Als ich 1992 nach New York ging, habe ich in den Badezimmern von Freunden Parfums entdeckt, von denen ich noch nie gehört hatte – das hat mich neugierig gemacht. Und ich bin tiefer in die Welt der Nischendüfte eingetaucht – als der Begriff noch gar kein Thema war. Aber diese wieder erweckte Leidenschaft führte dann 1995 zur Eröffnung meines Parfum-Shops Aedes de Venustas, zusammen mit meinem Geschäftspartner Robert Gerstner.
Wer steckt hinter Nomenclature?
Carlos Quintero und ich. Carlos bezeichnet sich als „Renaissance-Designer“ und sieht seine Arbeit als einen Prozess, der auf jede Facette des Lebens angewendet werden kann – sei es Mode, Möbel, Verpackung, Accessoires, Grafik oder Objekte. Er hat in Italien und New York für die großen Mode- und Parfumhäuser gearbeitet und steht für das moderne Konzept von Nomenclature. Ich bin zwar keine „Nase“, konzipiere aber die Düfte, wähle Noten und Inhaltsstoffe aus und begleite die Parfumeure während des ganzen Entwicklungsprozesses.
Wo werden die Parfums produziert?
Kommt auf den Duft an. Manche Öle kommen aus Frankreich, wie zum Beispiel für die Düfte der Freelance-Parfümeure Nathalie Feisthauer und Bertrand Duchaufur. Diese Öle werden dann in unserem Parfumlabor in New York weiterverarbeitet. Die anderen werden von Parfumhäusern wie Firmenich oder Mane in den USA hergestellt. Die nächsten Schritte sind dann Abfüllen, Einpacken und Zellophanieren – das wird von Hand gemacht in unserem Nomenclature Studio in Bushwick, Brooklyn.
Welcher Duft ist der beliebteste?
Ganz klar, „adr_ett“. Er stellt Helvetolide musc in den Mittelpunkt. Synthetische Moschus-Nuancen gibt es schon seit 1888 – diese wurde 1991 vom Dufthersteller Firmenich patentiert und ist einer der feinsten Moschus-Töne, die es gibt. Wir haben Iris und Rosa Pfeffer hinzugefügt, die den cleanen Character unterstreichen – wie ein frisch gebügeltes Hemd – daher der Name „adr_ett“.
Andere Länder, andere Düfte? Unterscheiden sich die Duftvorlieben?
Ja, im Süden sind die etwas schwereren Düfte beliebter. In Italien etwa gehören psy_cou, holy_wood und lumen_esce zu den Bestsellern. In nördlicheren Gefilden steht Transparenz ganz oben auf der Liste. Düfte wie „adr_ett“ oder „orbi_tal“ funktionieren gut in Dänemark, Rußland, Deutschland und den Niederlanden.
Ohne welchen könntest du selbst nicht leben?
Wenn ich nur einen Duft für den Rest meines Lebens wählen dürfte, dann „holy-wood“. Davon kann ich nicht genug kriegen…
Es gibt jede Menge von synthetischen Molekülen, also jede Menge Stoff für neue Nomenclature-Düfte?
Das stimmt. Wir könnten immer so weiter machen, da ja auch immer neue Moleküle entwickelt werden. Aber ich denke, dass wir mit unseren zehn Parfums die Bahnbrechenden abgedeckt haben. Wir werden es wohl dabei belassen – es sei denn, ich habe das Gefühl, dass noch ein Wichtiges vorgestellt werden muss.
Was kommt als nächstes?
Wir werden im Frühjahr 2021 eine zweite Kollektion lancieren, das Thema ist „modern perfumery“. Und auch in diesen Kreationen werden Moleküle sein, aber sie werden nicht mehr die Hauptgeschichte erzählen.
CultureandCream-Autorin aus München
Seit vielen Jahren schreibe ich als Beauty- und Lifestyle-Autorin für Magazine wie Vogue oder Glamour. Was mich immer wieder treibt: Nicht nur das Produkt oder der Trend, sondern die Menschen und die Story dahinter – und was es mit uns macht. Außerdem führt mich mein Job oft an die schönsten Plätze dieser Welt. Auch privat findet man mich gern in der einen oder anderen Wellness-Location, Recherche nicht ausgeschlossen. Culture and Cream also. Immer im Gepäck: Duft, Sonnenschutz und Lippenstift. Farbe? Rot. Was sonst