Das etwas andere Thailand
In Folge 2 ihrer Geschichte erzählt Melanie Rüdiger, deutsche Architektin und verheiratet mit einem Thai, alles über ihr Leben in einer muslimischen Dorfgemeinschaft mit manchmal schwierigen Kultur- und Mentalitätsunterschieden.
Welche Infrastruktur hat „deine“ Insel?
Koh Siboya ist eine fast ausschließlich muslimisch bewohnte Insel, und außer ein paar Läden für den täglichen Bedarf, ist nichts Kulturelles geboten. Für jegliche größeren Einkäufe und Anschaffungen, Bargeld, Postverkehr oder den Arztbesuch, auch bei akuten Fällen, müssen wir stets aufs Festland, ungeachtet der Wetterbedingungen und des Wellengangs. Da wir kein Auto besitzen, erledigen wir all das mit dem Motorrad. Ein Leben ohne Auto wäre in München undenkbar für mich. Hier jedoch versuche ich alle Anschaffungen zu vermeiden, die immensen Pflegeaufwand benötigen, um im Tropenklima längerfristig zu funktionieren. Was mir dagegen weniger fehlt, sind Besuche in Museen und Kinos. Eher noch der gemütliche Kaffee oder der Drink danach. All das blende ich gedanklich einfach aus und hole es dafür bei Heimatbesuchen nach.
Du musstest zum muslimischen Glauben übertreten…
Der größte Schritt in mein anderes Leben war, ein Mitglied der islamischen Gemeinschaft zu werden. Ich vermeide den Begriff „konvertiert“, denn dazu gehört in meinen Augen mehr als die kurze Zeremonie und das, was ich tatsächlich lebe. Der Islam ist einerseits prägend für das Zusammenleben in den Dorfgemeinschaften, andererseits durchmischt er sich mit der toleranten Haltung der Thais, für die ein friedliches Zusammenleben aller Religionen im gesamten Land selbstverständlich ist. Dennoch wird vorausgesetzt, nur als verheiratetes Paar unter einem Dach zusammenzuleben und als Ehepartner zum Islam zu konvertieren. Außer dass ich in der Öffentlichkeit mein Haar bedecke und nicht zu viel nackte Haut zeige, wird von mir weiter nichts erwartet. Es ist wahrscheinlich jedem klar, dass ich nicht über Nacht zur Muslima geworden bin. Allerdings verlasse ich das Haus nie ohne Hijab, den Kopfschleier, der in Thailand meist farbenfroh und mit viel Bling-Bling versehen ist. Nackte Schultern und nackte Knie in leichten Flatterkleidchen sind ein no-go. Im Tropenklima ist das manchmal eine Herausforderung, doch im Gegenzug werde ich in der Gemeinschaft bedingungslos akzeptiert. Natürlich ist das ein gewaltiger Unterschied zum freien Leben als Touristin.
Wie kommst du mit den Mentalitäts-Unterschieden zurecht?
Die Tourismusbranche hat den Begriff „Land des Lächelns“ geprägt. Tatsächlich verbergen Thais oft ihre wahren Gedanken und Gefühle hinter ihrem Lächeln. Mit der Zeit habe ich zwar gelernt, hinter dem Lächeln zu lesen, doch ich vermute, ich werde meinen Mann niemals hundertprozentig begreifen. Wenn ich nachhake, bekomme ich oft die Antwort „denk nicht so viel“. Mit Law etwas auszudiskutieren oder zu streiten, ist fast unmöglich, denn daran hat er gar kein Interesse. Lieber gibt er mir Recht. In unserem westlichen Kulturkreis werden wir darauf trainiert, unsere Meinung zu vertreten und diese auch mal nachdrücklich kundzutun. Für sich einzustehen und sich durchzusetzen ist als Zeichen der Stärke angesehen. Von den Thais allerdings wird sich aufregen und beschweren mit einem innerlichen Kopfschütteln und einem betretenen Lächeln quittiert. Schließlich bedeutet so ein Verhalten, das Gesicht zu verlieren. Tiefergehende Gespräche oder „ernste“ Filme, solche mit Handlung, die nicht nur aus Action oder Aliens besteht, fallen sowieso nicht in den Geschmack. Thais möchten Spaß haben und lachen können.
Wurdest du von Anfang an von den einheimischen Frauen akzeptiert?
Ehrlich gesagt hatte ich zu Anfang den meisten Respekt vor meinem Schwiegervater. Würde er mich als Nicht-Muslima in der Familie willkommen heißen oder würde er, wie ich es bei vielen einheimischen Männern erlebe, mich schlichtweg ignorieren? Er hat sich jedoch als sehr umgänglich erwiesen und mich, ebenso wie der Rest der Großfamilie, mit offenen Armen aufgenommen. Das wäre sicher anders, wenn ich mich nicht den Kleidungsregeln anpassen oder ohne Hijab auf die Straße gehen würde. Erstaunlicherweise haben gerade die Älteren mich als Fremde und Nicht-Muslima von Anfang an akzeptiert und respektiert, während ich zu gleichaltrigen oder jüngeren Frauen wenige Kontakte aufgebaut habe. Da stoße ich – und seit unserer Heirat auch Law – teils auf Neid und Vorurteile, denn wir sind ja „reich“ in deren Augen. Allerdings kommen Gespräche, die über das Essen und das Alltägliche hinausgehen, ohnehin nicht zustande. Zum einen ist da die Sprachbarriere – mein Thailändisch reicht gerade so für den Alltag und Englisch spricht so gut wie niemand -, zum anderen fehlt dafür einfach die gemeinsame Grundlage. Den geistigen Austausch muss ich mir bei Telefonaten in die Heimat holen.
Du betreibst mit deinem Mann eine Zucht mit „heiligen Tieren“…
Ich weiß nicht, ob man Ziegen als heilig bezeichnen kann, denn im Unterschied zu den heiligen Kühen der Hindus werden sie gegessen. Auf jeden Fall gelten sie im Islam als besondere Tiere, die zu Feierlichkeiten als Opfergabe ins Curry kommen. Für einen ausgewachsenen Bock werden schon mal knapp 10.000 Baht bezahlt, also in etwa das Monatsgehalt eines Arbeiters. Lieber wäre es mir natürlich, wenn jemand ein Tier zur Zucht kaufen würde, aber das kommt so gut wie nie vor. Wir verkaufen unsere Ziegen frühestens mit acht bis zehn Monaten, wenn sie ca. 20 kg wiegen. Aufgrund der extremen Wetterbedingungen in den Tropen ist es nicht immer einfach die heiklen Ziegen satt zu bekommen. In der heißen, trockenen Jahreszeit gibt es zu wenig Futter, in der Regenzeit ist es oft zu nass zum Weiden. Das ganze Jahr durch machen wir allabendlich Feuer unter dem Ziegenstall, gegen Feuchtigkeit und Mücken.
Was ist das Positive am Leben in den Tropen?
Das Positive ist ganz klar all das, weswegen es Millionen von Touristen jedes Jahr in die Tropen zieht. Das warme Klima und, sofern man an der Küste wohnt, das Meer vor der Nase. In Südthailand gibt es nur zwei Jahreszeiten – „hot season“ und „rainy season“ – wobei die Temperatur praktisch nie unter 25 Grad Celsius fällt. Die Vegetation ist das ganze Jahr hindurch üppig grün, man kann den Pflanzen nahezu beim Wachsen zusehen. Aber das ist natürlich nur die eine Seite der Medaille. Was man als Tourist erlebt, stimmt – nicht ganz überraschend – nicht immer mit dem Alltagsleben überein.
…und das Negative?
Meistens werde ich als erstes gefragt, ob es in Thailand gefährliche Schlangen und Spinnen gibt. Auf unserer Insel gibt es vier hochgiftige Schlangenarten, denen ich allen schon einmal selbst begegnet bin. Im Alltag stellen sie absolut keine Bedrohung dar. Vielmehr sind es das kleine Getier und die Insekten, die einem das Leben schwer machen. Das Spektrum reicht von Gecko-Eiern im Toaster über Sandklumpen-Westennester in den Klamotten zu Flip-Flop-zerlegenden Ameisen. Die niedlichen Geckos, die in Thailand wahrscheinlich fast jedes Haus bevölkern, kötteln rund um die Uhr in alle Räume. An schönen Stoffen oder Deko-Gegenständen habe ich deswegen keine Freude. Die meisten Materialien außer Plastik und Porzellan vertragen das feuchte Klima und die salzige Luft sowieso nicht. Kleidung bekommt schnell Stockflecken, und verschimmelte Kopfkissen sind in der Regenzeit normal. Alles fühlt sich feucht an und mieft innerhalb kürzester Zeit, da es über Wochen nicht mehr richtig trocknet. Im Urlaub nimmt man vieles davon in Kauf, findet es wildromantisch und zum Lokal-Kolorit gehörend. Als Tourist kann man sich damit trösten, dass der Schmuddel nicht für immer bleibt und man zuhause alle müffelnden Klamotten in die Waschmaschine steckt. Diese Option habe ich leider nicht.
Was dich dein neues Leben gelehrt hat?
Ich habe mir angewöhnt, vor dem Kauf der meisten Dinge erstmal innezuhalten und mich zu fragen „ist das tatsächlich wichtig, brauche ich das wirklich?“ – auch vor dem Hintergrund, dass viele Dinge innerhalb kürzester Zeit nicht mehr ansehnlich oder brauchbar sind. Und so banal es sich anhört: die einzigen Dinge, die mir inzwischen wirklich wichtig erscheinen, sind der Zugang zu sauberem Wasser und die Gesundheit. Gleich in meinem ersten Jahr in Thailand war das Frischwasser in dem Reservoir, das unser Dorf versorgt, aufgebraucht und die Regenzeit ließ auf sich warten. Ganze sechs Wochen waren wir ohne Wasser aus der Leitung. Law holte täglich mit dem Motorrad Wasser, da er mir das Waschen direkt am Brunnen, wie es die anderen Frauen taten, in ihre Sarongs eingewickelt, ersparen wollte. In der nächsten Saison haben wir uns einen großen Tank zugelegt.
Was vermisst du am meisten?
Ich vermisse das kontinentale Klima in Europa, die Jahreszeiten, die bayerischen Berge und Seen. Obwohl ich im Indischen Ozean lebe, vermisse ich das Mittelmeer, den mediterranen Lifestyle. Auch unsere kulturelle Vielfalt, der selbstverständliche Austausch mit den europäischen Nachbarländern fehlt mir. Da die asiatischen Länder ein Nebeneinander von Nationalstaaten sind, findet hier keine große Durchmischung statt. Die Sprachen der jeweiligen Nachbarländer werden untereinander nicht einmal ansatzweise verstanden. Natürlich bin ich auch immer wieder froh, zurück nach Deutschland zu kommen, wo ich „eine unter vielen“ bin, denn in Thailand werde ich immer die „farang“, die Ausländerin, bleiben.
Würdest du dich wieder für ein Leben in Thailand entscheiden?
Meine Entscheidung, nach Thailand zu ziehen, war ja in erster Linie eine Entscheidung für das Leben mit meinem Mann. Natürlich hat es mich auch gereizt, nochmal eine ganz andere Auslandslebens-Erfahrung zu machen. Ich hatte zuvor bereits längere Zeit in Italien und Norwegen gelebt, aber nie in einem völlig fremden Kulturkreis. Doch wenn ich ehrlich bin, ist das Leben in jeder Hinsicht beschwerlicher, und das liegt nicht nur an fehlenden Haushaltsgeräten oder dergleichen. Wenn wir beide frei wären, zu leben, wo wir wollen – denn das sind wir aufgrund der Visabestimmungen, auch für Verheiratete, nicht – würde ich die Zeit lieber hälftig aufteilen. Wir schätzen beide die positiven Aspekte unserer Heimatländer. Zudem hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie weit die beiden Länder tatsächlich voneinander entfernt sind und dass uns der Weg zurück auch ganz schnell verwehrt sein kann.
Seit ich 2014 den Großstadtdschungel gegen einen echten Dschungel eingetauscht habe, lebe ich in zwei Welten. Als Dipl. Ing. Architektin in Deutschland befasse ich mich mit Großprojekten aus Beton und Stahl. Ich begeistere mich für skandinavische Baukunst und zeitloses Design. Auf unserer Ziegenfarm in Thailand gibt es nichts Aufregenderes als die Geburt eines neuen Zickleins. Nebenher finde ich immer irgendetwas umzugestalten und neue Handwerkstechniken zu erlernen. Mit Begeisterung lerne ich neue Sprachen, wobei Thailändisch bislang die größte Herausforderung darstellt.