Blackout: Der Blick ins Nichts
Corona ist doch nicht anderes als eine Art Grippe. Und wenn man geimpft und geboostert ist, wird es schon nicht so schlimm werden, wenn man sich trotz aller Impfungen und Vorsichtsmaßnahmen ansteckt. Das dachte ich auch. Als es mich dann erwischt hatte, war der Verlauf tatsächlich nicht so schlimm. Das dicke Ende kam erst danach – ein stundenlanger Blackout.
Trotz aller Impfungen, Booster und Hygieneregeln habe ich mich dieses Jahr im April mit SARS-CoV-2 b infiziert. Was den Alpha- und Delta-Varianten nicht gelungen war, hat Omikron bei mir geschafft. Dabei hatte ich noch Glück, dachte ich. Mein Krankheitsverlauf war mild. Ich hatte starke Kopfschmerzen, was für mich jedoch eine völlig neue Erfahrung war.
Kopfschmerzen kannte ich nur aus nächster Nähe, nie an mir. Als Kind litt ich mit meiner kleinen Schwester, wenn sie mal wieder mit ihrer schrecklichen Migräne im abgedunkelten Zimmer lag. Wie sich das anfühlt, habe ich jetzt während Corona am eigenen Kopf erfahren. Ich dachte, meine Gehirnwindungen tanzen Cha-Cha-Cha, bis mir der Kopf platzt. Dazu kamen Halsschmerzen und Husten. Drei Tage lag ich im Bett, den Rest der Quarantäne verbrachte ich zwar im Haus, aber ich konnte wenigstens aufstehen.
Im Nachhinein fand ich, dass ich eigentlich glimpflich davon gekommen bin. Ich merkte nicht, dass sich in meinem Körper irgend etwas gravierend verändert hatte. Zwar wurde ich schneller müde, schlief noch schlechter als sonst – was ich unter Stress verbuchte. Dann vier Wochen später an einem Samstag passierte etwas merkwürdig Erschreckendes. Meine jüngere Schwester und mein Schwager aus Berlin waren zu Besuch.
Der Tag verlief gemütlich und harmonisch. Wir waren zusammen beim Einkaufen für unseren Grill-Abend und tranken Espresso vor der Türe bei meinem kleinen, italienischen Lieblingsladen am Ammersee. Um uns und speziell mir etwas Ruhe zu gönnen, hatte mein Mann währenddessen unseren überaus aktiven Junghund Byron übernommen und mit ihm eine ausgiebige Wanderung gemacht.
Mein Gedächtnis – wie ausgelöscht
Am Nachmittag zu Hause auf unserer Terrasse war es traumhaft warm. Ich beschloss, was ich schon längst machen wollte, einen kleinen Schubladen-Schrank anzustreichen, in dem die Gartenutensilien verstaut sind. Er sollte die graue Farbe einer großen indischen Garuda-Figur bekommen, die darauf ihren Stammplatz hat. Sie stellt das Reittier des Hauptgottes Vishnu dar. Die Farbe und die nötigen Maler-Utensilien hatte ich schon im letzten Jahr gekauft, doch nie hatte es zeitlich oder wettermäßig gepasst. Das Holz von Kasten und Schubladen war schnell gereinigt, mein Mann half mir beim Abschmirgeln.
Ich merkte, wie mir plötzlich schwindlig wurde und ich mit der grauen Farbe an meinem Pinsel die Jeans von meinem Mann bekleckste. Er war nicht gerade begeistert und ging sie mit einem Spezialmittel reinigen. Ich hatte mich wohl schnell wieder aufgerappelt und malte weiter. Keiner merkte etwas, mein Verhalten war anscheinend unauffällig. Aber von da an kann ich mich an nichts mehr erinnern. Nicht, wie sich mein Mann von mir verabschiedete, er wollte noch mal kurz in seine Firma fahren. Nicht, wie ich die Malerarbeiten beendete. Nicht, wie ich mich anschließend offensichtlich umgezogen hatte.
Ein kompletter Filmriss von etwa zwei Stunden. Ich kann mich erst wieder erinnern, wie ich – in frischen Klamotten – geschockt und heulend vor meiner Schwester saß und ihr erzählte, dass ich mich an nichts erinnern könne, was in den letzten zwei Stunden passiert sei. Sie fragte mich, ob ich wisse, welchen Wochentag wir hätten. Ich antwortete wahrheitsgemäß „Samstag“. Das aktuelle Gedächtnis war da, aber die vergangenen Stunden – völliger Blackout, tiefe Finsternis. War die Hitze schuld, oder vielleicht das Arbeiten mit dem Kopf nach unten der Auslöser? Ich habe keine Ahnung.
Blackout: Leere im Kopf
Es ist ein wahrhaft grauenhaftes Gefühl, nichts mehr zu wissen. Als hätte jemand den Delete-Button gedrückt. So muss sich Alzheimer und Demenz anfühlen, dachte ich mir. Der Blick ins Nichts. Ich zermarterte mein Gehirn, doch ich konnte nur Bilderfetzen hervorholen, von denen ich noch nicht mal wußte, ob sie Realität oder Fiktion waren. Mein Geist und mein Körper waren so erschöpft von dem Erlebten, dass ich fror trotz der sommerlichen 28 Grad und die nächsten Stunden schlafend verbrachte.
Am nächsten Tag war (fast) alles wieder normal. Mein Gehirn funktionierte, wenn es sich auch etwas in Watte verpackt anfühlte. „Brain fog“ nennen es die Mediziner. Nur der Nachmittag vom Vortag ist wohl für immer aus meinem Gedächtnis verschwunden. Als Journalistin habe ich mich natürlich sofort auf die Suche im Internet gemacht. Und meine Recherchen haben ergeben, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 Störungen im Gehirn hervorrufen kann.
Die Auslöser für so einen Blackout sind vielfältig, zum Beispiel können Entzündungen, Dysfunktionen bei Zellen und Blutgefäßen oder Reaktionen des Immunsystems zu Ausfallerscheinungen führen. Es wurde beobachtet, dass dieser Rebound-Effekt ein bis vier Monate nach der Genesung auftreten und sich in neurologischen oder kognitiven Einschränkungen wie Gedächtnis-, Konzentrations- oder Empfindungsstörungen äußern kann. Laut Dr. Jördis Frommhold, Chefärztin in der Median Klinik Heiligendamm, die auf die Rehabilitation von Post-Covid-Erkrankten spezialisiert ist, sind mehr Frauen als Männer davon betroffen. Nie wieder möchte ich so etwas erleben, das wünsche ich mir!
Photos @up_n_co
CultureAndCream-Autorin aus München
Beruflich als Beauty-Journalistin zu reisen, war mir nicht genug. Sechs Monate Weltreise haben auch nicht gereicht. Immer wieder zieht es mich in andere Städte, fremde Länder, zu Roadtrips und an Locations, die man kennenlernen sollte. Mich interessieren nicht nur „culture“ und „cream“, sondern auch Menschen, die Geschichten zu erzählen haben. Auf solche Reisen möchte ich euch mitnehmen.