Mergui Archipel – Inseln ohne Namen
Robinson-Charme in der Andamanensee
In jedem Paradies lauert eine Schlange, sagt man. Doch hier, zwischen den Mangroven, die ihre Wurzeln wie Stelzen in das flache Wasser strecken, so fürchte ich, ist es vielleicht eher eine Panzerechse. Irgendwo habe ich von einer Schlacht im Zweiten Weltkrieg gelesen, bei der eine Gruppe japanischer Soldaten von den Alliierten in einen Sumpf an der burmesischen Küste nahe der Stadt Mergui getrieben wurde. Von den 400 Japanern haben angeblich nur 40 überlebt. Nicht etwa, weil sie irgendwelchen kriegerischen Auseinandersetzungen zum Opfer gefallen wären, sondern weil es dort so viele Krokodile gab.
Kugelfische auf der Leine
Der Sumpf und die Stadt Mergui liegen mehrere hundert Kilometer nördlich, versichern mir alle, die ich frage, und die Krokodile seien auf Farmen oder tot. Ebenso tot wahrscheinlich wie die Kugelfische, deren runde, stachelige Häute wie schlaffe Ballons auf einer Leine in der Sonne trocknen und die angeblich nach China verkauft werden, weil irgendwo in Ghuangzhou im Perlflussdelta jetzt Handtaschen aus Kugelfischleder angesagt sind.
Digital detox
Ansonsten ist es auf der Insel 111 beinahe schon unheimlich idyllisch. Frauen mit Mustern m Gesicht aus Thanaka, jener geriebenen Baumrinde, die vor Sonne schützen soll, reparieren die Reusen. Die Männer fahren aufs Meer hinaus, und die Hütten sind aus traditionell geflochtenen Bambusmatten, gedeckt mit Palmstroh. Die gut gelaunten Kinder am Strand sind mit ihren Kätzchen und ein paar Plastikbechern zum Spielen völlig zufrieden. Das Internet kennen sie nicht, und ein Mobilfunknetz gibt es hier auch nicht. Manchmal geht das Telefon östlich von Insel 108, aber nur, wenn es nicht regnet. Insofern erübrigt sich der Blick aufs Handy, was manche Reisende nervös macht. Aber was sollte man hier schon vermissen?
Nummern statt Namen
Einen Namen hat das Dorf ebenso wenig wie die meisten umliegenden achthundert unbewohnten Inseln. Immerhin, die Inseln tragen Nummern. Der Mergui Archipel ist das letzte unberührte Insel-Paradies der Welt. Weiße Strände mit türkisfarbenen Lagunen, Korallenriffe und dichten Dschungel hat man fast für sich allein. Man kann tagelang segeln und niemanden treffen – außer ein paar indigenen Fischern im Einbaum. Die einzigen Menschen hier waren bis vor kurzem die Moken, welche die Küste von Myanmar bis Indonesien bevölkern und hauptsächlich auf ihren Booten lebten. Den Regierungen waren die Seenomaden, die sich nicht an Staatsgrenzen hielten, schon immer suspekt. Doch in letzter Zeit hat sich der Umgang mit ihnen entspannt, nicht zuletzt deswegen, weil viele von ihnen inzwischen in Dörfern an Land leben.
Eines der letzten Paradiese
Das ehemalige militärische Sperrgebiet fiel nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Art Dornröschenschlaf und wird vermutlich in den nächsten Jahren touristisch schnell entwickelt werden, liegt es doch nur ein paar Kilometer nördlich der Grenze zu Thailand.… weiterlesen
C&C-Autor aus Bangkok
Martin Schacht ist ziemlich vielseitig. Er arbeitet als Regisseur von Fernsehreportagen für „Arte“ und diverse andere Sender, schreibt Reisebücher und für Magazine. Seine Romane erscheinen bei Rowohlt, die Reisebücher „Gebrauchsanweisung für Thailand“ und „Gebrauchsanweisung für Myanmar/Burma“ bei Piper. Martin Schacht lebt in Bangkok und Berlin – wenn er nicht gerade auf Reisen ist.