Mein Leben auf einer Insel in Thailand
Denkt man da nicht sofort an weiße Strände, türkisblaues Meer und Cocktails unter Kokospalmen? Von der Realität im Paradies berichtet Melanie Rüdiger, eine deutsche Architektin, die der Liebe wegen auf eine Insel im Indischen Ozean gezogen ist.
Warum bist du vor sechs Jahren von Deutschland nach Thailand ausgewandert?
Das klingt natürlich wie ein Klischee, denn ich habe im Urlaub meinen künftigen Mann kennengelernt. Nach meinem ersten Thailand-Urlaub vor vielen Jahren hat mich die Sehnsucht nach diesem Land nie richtig losgelassen. Als ich von einem Bekannten erfuhr, der sich auf einer kleinen unbekannten Insel in der Andamanen See niedergelassen hatte, nahm ich das als Ausgangspunkt für ein geplantes Insel-Hopping. Sehr weit kam ich allerdings nicht, denn Koh Siboya entpuppte sich als kleines Paradies, in dem man wunderbar in den Tag hineinleben und alle weiteren Pläne ganz schnell vergessen konnte. Law, inzwischen mein Ehemann, arbeitete in dem einzigen Resort der Insel und ist mir mit seinem strahlenden Lächeln und seiner aufmerksamen Art gleich aufgefallen. Wir kamen uns näher.
Und wie ging es dann weiter mit euch?
Nach dem Urlaub folgten tägliche Video-Calls und unzählige WhatsApp-Nachrichten. Bei einem weiteren Besuch in Thailand machte er mir einen Heiratsantrag und fragte, ob ich mir vorstellen könne, mit ihm auf seinem geerbten Stück Land zu leben. Beruflich hatte ich zu der Zeit eine der höchsten Karrieresprossen als Architektin und Projektsteuerin erklommen. Ein weiteres Großprojekt abzuwickeln war zwar spannend, aber bedeutete keine Passion mehr. Privat hatte ich eine langjährige, schwierige Beziehung hinter mir. Kurzum, all das hat mir die Entscheidung leicht gemacht.
Wie sieht heute dein Alltag in Thailand aus?
Eine der größten Herausforderungen für mich ist, dass es keinen Alltag gibt und ich keiner regelmäßigen Tätigkeit nachgehe. Nur in der Hängematte abhängen wäre nicht mein Ding. Meist bestimmt das Wetter, welche Aktivitäten stattfinden – ist es zu heiß, kann man nur frühmorgens etwas im Freien erledigen, schüttet es in Strömen, setzt man besser keinen Fuß vor die Tür. Anders als im Golf von Thailand kann man in der Andamanen See nur in der Hochsaison, entsprechend dem europäischen Winter, im Meer schwimmen und auf unserer Insel auch nur bei Flut. Soviel zum Mythos des ganzjährigen Strandlebens.
Wo lebt ihr auf der Insel?
Das geerbte Stück Land im Dorf von Laws Familie entpuppte sich als Kautschukplantage, die wir nach und nach gerodet und kultiviert haben. Dort haben wir mit einem kleinen Startkapital und viel Unterstützung der Dorfbewohner unser Haus gebaut und einen tropischen Garten angelegt. Beides wird regelmäßig erweitert und erfordert in tropischem Klima tägliche Pflege und Instandhaltung. Wir betreiben eine ständig wachsende Ziegen- und Hühnerfarm, so dass die Tiere einen Großteil unseres Alltags bestimmen. Im Gegensatz zu vielen anderen Inselbewohnern, die Ziegen halten und sie meist sich selbst überlassen, achten wir auf die artgerechte Haltung unserer Tiere, und das ist sehr zeitintensiv. Wir bauen einen Teil des Futters sowie Obst und Gemüse für unseren Eigenbedarf selbst an. Während der Touristensaison organisiere ich außerdem einen kleinen Fairtrade-Laden im Hotel-Resort, in dem ich handgefertigte Produkte, die ich zum Teil gemeinsam mit den Einheimischen entwickle, verkaufe. Der Gewinn geht an die Bedürftigsten der Inselgemeinschaft.
Von der erfolgreichen Architektin zur Farmersfrau – funktioniert das?
Anfangs überwog die Freude über meinen vorläufigen Ausstieg aus dem Berufsleben. Ich sah es als eine Art Sabbatical mit einem Anteil Überlebenstraining. Natürlich habe ich mich gefragt, wie ich damit klarkomme, nun nicht mehr „die Architektin“, sondern nur noch „die Frau von Law“ zu sein. Wir sind es in Deutschland gewohnt, uns über beruflichen Erfolg zu definieren. Und ich muss zugeben, je länger ich mich in Thailand aufhalte, desto mehr zieht es mich immer wieder für ein paar Monate zurück nach München, ins Berufsleben, schon um den Anschluss nicht zu verlieren. Oft werde ich gefragt, warum ich mir in Thailand keine Stelle als Architektin suche. Zum einen zählt Architektur gemäß königlichem Dekret zu den Tätigkeiten, die für Ausländer verboten sind. Zum anderen ist unsere westliche Architekturschule in Sachen Stil und Geschmack recht weit von der thailändischen Vorstellung von moderner Architektur entfernt. Und wenn mir das Bauen zu sehr fehlt, starten wir einfach ein neues Projekt auf unserem Land. Das nächste wird wohl ein Pool und ein Gästehaus werden. Doch es ist ja nicht nur mein Beruf, der für mein neues Umfeld bedeutungslos ist. Die meisten Leute auf unserer Insel sind noch nie weiter gereist als bis zur nächsten Kleinstadt. Schon Bangkok liegt für sie auf einem anderen Planeten. Das ferne Europa liegt außerhalb ihres Vorstellungsvermögens, und leider fehlt das Interesse an anderen Kulturen oder Sprachen völlig. Die einzige Frage, die mir immer wieder zu meinem Background gestellt wird, ist „Deutschland ist ein kaltes Land, oder?“.
Wie meisterst du das Leben – Ziegenfarm statt Großstadt?
Bevor ich nach Koh Siboya zog, hatte ich das klischeehafte Bild von Thailand als buddhistisches Land mit reich verzierten Tempeln, in kostbare Thai-Seide gekleidete lächelnde Schönheiten und Handwerkskunst an jeder Ecke. Mein neues Zuhause ist ziemlich das Gegenteil dieser Vorstellung. Während der Norden Thailands um Chiang Mai eher diesem Bild entspricht und Bangkok sowieso ein weites Spektrum bietet, ist Südthailand mehr für seine Strände bekannt als für seine Kultur. Schöne Einrichtungsgegenstände, hochwertige Materialien und kunstvolle Handarbeit sucht man nahezu vergebens. Das ist für mich als Gestalterin und Design-Liebhaberin oft frustrierend, und es zieht mich alle paar Monate „zum Auftanken“ in ein nettes Designhotel.
Was bedeutet es für dich, auf vieles Materielle verzichten zu müssen?
Als wir unser Haus bauten, haben wir bewusst darauf geachtet, dass es sich an die Behausungen der anderen Dorfbewohner anpasst. Es sollte keine Luxusvilla mit allen Schikanen werden, sondern einfach ein für uns maßgeschneidertes, gemütliches Haus im „tropical island style“. Dementsprechend gibt es zum Beispiel keine Klimaanlage und nur sehr wenige elektrische Haushaltshelfer. Und wer möchte schon Fenster putzen, wenn es einfache Holzläden genauso tun? Außerdem haben wir mit einem relativ kleinen Budget angefangen. Die ersten Monate hatten wir keine Küche, Law aß im Resort und ich bei seiner Familie. Warmwasser, Fernseher, Internet – Fehlanzeige. Strom gibt es glücklicherweise auf der Insel, wenn auch erst seit 2009. Da wäre ich vermutlich an meine Schmerzgrenze geraten. Die vielen Stromausfälle lassen ahnen, wie das Leben dann gewesen wäre. Da wir unser Wasser ins Haus pumpen müssen, bedeutet kein Strom unmittelbar kein fließendes Wasser. Unnötig zu erwähnen, dass Kleidung, Accessoires und Make-up im Farmalltag keine Rolle spielen. Die vielen Vereinfachungen im Vergleich zu meinem Leben in München empfinde ich überwiegend als Befreiung. Da wir meistens Anschaffungen tätigen, die eher zum Komfort beitragen als purer Luxus sind, ist die Freude darüber unmittelbar und hält lange an.
Worüber bist du froh, es hinter dir gelassen zu haben?
Das Wort „Stress“ existiert nicht mehr in meinem Wortschatz, und es befremdet mich immer wieder, welchen Stellenwert es bei meinen Freunden daheim einnimmt. Mit meinem Fernblick kann ich sagen, dass vieles von dem Stress, den wir in Deutschland erleben, selbstgemacht ist. Wir sollten uns öfter etwas von der asiatischen Gelassenheit abschauen.
Was hast du im Gepäck, wenn du von Europa wieder nach Hause fliegst?
Natürlich reise ich trotz aller guten Vorsätze immer mit Übergepäck nach Thailand zurück, mit Dingen, die ich vermeintlich brauche. Auf jeden Fall nehme ich immer eine Auswahl an Käse mit sowie europäische Pflanzen, die ich versuche, im eigenen Garten großzuziehen – mit teils mäßigem Erfolg. Außerdem verlasse ich Deutschland jedes Mal mit dem Gefühl, mich wieder mit meinen Wurzeln verbunden zu haben. München bleibt eben doch meine Heimat.
In Teil 2 der Geschichte erfahren Sie alles über „das andere Thailand“, Melanies Leben in einem muslimischen Dorf, deren Kultur und Mentalitätsunterschiede im „Land des Lächelns“.
Seit ich 2014 den Großstadtdschungel gegen einen echten Dschungel eingetauscht habe, lebe ich in zwei Welten. Als Dipl. Ing. Architektin in Deutschland befasse ich mich mit Großprojekten aus Beton und Stahl. Ich begeistere mich für skandinavische Baukunst und zeitloses Design. Auf unserer Ziegenfarm in Thailand gibt es nichts Aufregenderes als die Geburt eines neuen Zickleins. Nebenher finde ich immer irgendetwas umzugestalten und neue Handwerkstechniken zu erlernen. Mit Begeisterung lerne ich neue Sprachen, wobei Thailändisch bislang die größte Herausforderung darstellt.
Renate Kuhlbrodt
Interessant. Hab ich sehr gerne gelesen und freue mich auf Teil 2.
Susanne
Wow Melanie!!!
Das alles liest sich so schön und spannend!
Ein mutiger Schritt, aus unserer europäischen und meist selbstgemachten Arbeits-Routine-Maschine auszusteigen – und wirklich inspirierend.
Ich vermute, das wird mich jetzt länger gedanklich beschäftigen…toll!
Ich freue mich auf Teil 2!
Barbara Müller
Hallo Melanie,
Barbara hier, ehemalige Arbeitskollegin von KSP.
Ich bin grad in Norwegen, deiner alten Wahlheimat.
Momentan sind wir in Nordseter eingeschneit.
Ich habe grad an dich gedacht und mal recherchiert wo du bist…..
interessant.
Also ich würde grad gerne nach Norwegen auswandern, der Schnee ist grad etwas krass, aber ich kenne das Land auch anders.
In welchem Büro hat du hier eigentlich gearbeitet? Du warst in Oslo? Richtig?
Vielleicht möchtest du dich ja melden, würde mich freuen.
Viele Grüsse Barbara