Wie krisenfest sind Lippenstifte?
C&C-Autorin Margit Hiebl erzählt hier, warum sie auch zu Corona-Zeiten mit Maskenpflicht nicht auf ihre roten Lippen verzichten wird und warum sich in Krisenzeiten teure Lippenstifte besonders gut verkaufen.
Mich sieht man nie oben ohne. Gemeint ist roter Lippenstift. Tja – jetzt sieht man mich auch (fast) nie oben ohne. Gemeint ist die Maske. Das heißt: Auszeit für den Lippenstift? Oder nur als Luxusartikel für ganz besondere Momente? Denn, selbst wenn bald auch die Lokale wieder öffnen – die Masken werden uns erstmal erhalten bleiben. Und da wirkt es auch nicht gerade sexy, wenn man die Maske zum Essen abnimmt und das Lippenmake-up darunter aussieht, als hätte man schon gegessen. Dabei ist der Lippenstift für uns Ladies unverzichtbar – zumindest in Krisenzeiten.
Der „Lipstick Index“
Erstmals beobachtet wurde das Phänomen nach der Wirtschaftskrise in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts in den USA. Während sich die industrielle Produktion nahezu halbierte, stieg der Umsatz von Lippenstiften & Co stark an. Eine ähnliche Entwicklung gab es auch seit der Finanzkrise vor über 10 Jahren. Ebenso nach 9/11. Seither hat das Phänomen auch einen Namen: Während die Börsenkurse sich im Tiefflug befanden, schossen die Absatzzahlen von teuren Lippenstiften außergewöhnlich in die Höhe. Leonard Lauder, damals Vorstandsvorsitzender des US-Kosmetikkonzerns Esteé Lauder, nannte diese Art Indikator für wirtschaftliche Entwicklung den „Lipstick Index“.
Kleiner Luxus
Warum verkaufen sich in Krisenzeiten gerade teure Lippenstifte? Nun, ein Erklärungsversuch ist: Wenn das verfügbare Einkommen wegen stagnierender Wirtschaft kleiner wird und man sich schon keine größeren Anschaffungen leisten kann oder will, gönnt man sich zumindest einen kleinen Luxus – einen chicen Lippenstift. Und schließlich gilt in kleinen und besonders auch großen Krisenzeiten der Stilgrundsatz von Holly Golightly, dem New Yorker Partygirl im kleinen Schwarzen aus dem Kultfilm „Frühstück bei Tiffanys“: „A girl can’t read that sort of thing without her lipstick“. Wenn’s also in die Untiefen des Lebens geht – nicht ohne Lippenstift. Denn Stil ist alles, wie Diana Vreeland sagte, New Yorker Szene-Größe und Chefredakteurin der US-Vogue (1963-1971). Er hilft dir, morgens aufzustehen und die Treppe hinunter zu kommen. Es ist eine Lebensweise.
Mein Plädoyer für den Lippenstift
Also: Ich plädiere dafür, am viel zitierten Homeoffice-Schreibtisch keine Masken aufzutragen (meine Güte, kann man das nicht wie sonst auch abends oder am Wochenende machen?), sondern den Lippenstift. Dann wird es sicher auch im Online-Call „Zoom“ machen. Zwar ist es noch ist es zu früh für aktuelle Absatzzahlen. Doch ich wette, Wimpertuschen, Kajal, Lidschatten und Augenpflege werden neue Höhenflüge erleben – liegt schließlich das Augenmerk nun im oberen Drittel des Gesichts. Ich persönlich werde jedoch alles daransetzen, dass sich die Absatzkurve der Lippenstifte auch in Corona-Zeiten nicht abflacht. Und wenn ich ihn nachts im Bett auftrage. Träumen von besseren Zeiten darf man ja schließlich.
Fotos: La Bouche Rouge (2), privat
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CultureandCream-Autorin aus München
Seit vielen Jahren schreibe ich als Beauty- und Lifestyle-Autorin für Magazine wie Vogue oder Glamour. Was mich immer wieder treibt: Nicht nur das Produkt oder der Trend, sondern die Menschen und die Story dahinter – und was es mit uns macht. Außerdem führt mich mein Job oft an die schönsten Plätze dieser Welt. Auch privat findet man mich gern in der einen oder anderen Wellness-Location, Recherche nicht ausgeschlossen. Culture and Cream also. Immer im Gepäck: Duft, Sonnenschutz und Lippenstift. Farbe? Rot. Was sonst