Mica – die traurige Geschichte dahinter
Schon mal was von Mica gehört? Und sicher haben Sie es auch irgendwo in ihrer Kosmetiktasche. Denn es ist das Pigment, das Lidschatten, Puder und Lippenstifte so schön schimmern lässt. Aber nicht nur Make-up-Produkte schmücken sich mit dem edlen Perlglanzschimmer. Auch für Lacke, beispielsweise in der Auto-Industrie, wird Mica herangezogen. Dabei ist das Pigment auch nicht das eigentliche Problem, sondern wie es gewonnen wird.
An sich ist Mica nichts Böses. Es ist ein natürlich vorkommendes Mineral. Also unproblematisch für den Verwender. Doch sein Abbau erfolgt oft unter menschenunwürdigen Bedingungen – durch Kinderarbeit. Dem muss ein Ende gesetzt werden. Erste Ansätze gibt es bereits. Einen großen Schritt in die richtige Richtung geht eine Initiative, die im Januar 2017 gegründet wurde. Damals haben sich die Repräsentanten von 20 Firmen und Organisation weltweit zusammengesetzt und die „Responsible Mica Initiative“ (RMI) gegründet. Deren Ziel ist es, die Kinderarbeit in den Mica-Lieferketten zu unterbinden.
Alle RMI-Mitglieder müssen sich verpflichten, nur noch Rohsubstanzen aus legalen Minen zu kaufen. Der Verbund setzt sich außerdem für Transparenz und die Umsetzung von Standards am Arbeitsplatz der Minenarbeiter ein. Inzwischen zählt die Initiative 80 Mitglieder aus allen Industriebereichen. Darunter Chanel, Clarins, Coty, Shiseido, L’Oréal, Sephora, H&M, Porsche und die BMW-Group. Auch die Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes ist ein Teil davon.
Mica, das vielseitige Mineral
Mica ist ein Begriff, der aus dem Lateinischen kommt. Er bedeutet so viel wie „glitzern“ oder „glänzen“. Der für Mica typische Glanz hängt von der Partikelgröße ab. Je kleiner die Teilchengröße, desto matter sind die Pigmente und desto höher ist die Deckkraft. „Die Grösse des Pigments entscheidet auch darüber, wie glänzend etwas ist. Ein weicher Lidschatten braucht kleinere Teilchen, um ihn glatt aussehen zu lassen. Kleinere Partikel erzeugen Glanz, während grössere Partikel einen starken Glitzer-Effekt erzeugen“, erklärt Make-up Entwicklerin Rowena Bird bei Lush.
Das Silikat-Mineral wird in diversen Produkten von Rouge bis Schmink-Stiften, von Nagellack bis Karnevals-Farben eingesetzt. Sogar in Kinderprodukten wie Duschgel, Badeseife und Zahnpasta kann Mica enthalten sein. Und weil sich Puder damit leichter herstellen lässt, wird es häufig als Filler in Mineral Make-up eingesetzt. Mica gehört zur sogenannten Glimmergruppe, wird etwas despektierlich auch Katzensilber oder Katzengold genannt. Auf der INCI-Liste findet man es unter der Bezeichnung CI 77019 oder als Potassium Aluminium Silicate.
Wenn Mica auf Titanoxid trifft
Um verschiedene Farben zu kreieren und diverse Glanz- bzw. Glitzer-Effekte zu erzielen, überzieht man die Mica-Partikel mit einem Oxid – meistens Titanoxid. Der Farbton hängt davon ab, wie viele Schichten aufgelegt werden. Bird erklärt es so: „Wenn Licht auf ein Prisma trifft, entsteht ein Regenbogen. Genauso funktioniert das mit Titanoxid: Stösst Licht darauf, prallt es ab und ein Regenbogen erscheint. Welchen Farbton man erhält, hängt davon ab, mit wie vielen Schichten das Mica überzogen wird. Bis zu sieben verschiedene Farben können kreiert werden. Wie dunkel die jeweilige Farbe wird, hängt ebenfalls von der Anzahl an Schichten ab.“
Charakteristisch für das Mineral, das zu den Schicht-Silikaten gehört, ist die schichtartige Struktur. Sie ermöglicht eine optimale Spaltbarkeit der Glimmer-Minerale. Das wiederum gestattet eine vielfältige Verwendung, nicht nur in der Kosmetikindustrie. Dem Endverbraucher*innen weniger bekannt ist, dass Mica auch für Autolacke und Lacke allgemein genutzt wird, ebenso für Computer, Handy und diverse Haushaltsgeräte. Weil es Hitze und Strom isoliert, dient es als Füllstoff. Aufgrund seines hohen Schmelzpunktes findet es dort Einsatz, wo hohe Temperaturen erreicht werden – beispielsweise für Kaminfenster, Bremsbeläge und Reifen.
Lebensgefährlicher Abbau
Als natürlich vorkommendes Mineral ist Mica auf der ganzen Welt zu finden. Mehr als 35 Länder bauen es ab. Die Industrie-Staaten beziehen Mica vorwiegend aus Indien und Madagaskar, den beiden größten Exportländern. Dort wird es oft unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut. Von Kindern und deren Eltern, die ständig der Hitze und dem Staub ausgesetzt sind. Teilweise schürfen sie in selbst gegrabenen und völlig ungesicherten Löchern, die bis zu 20 Meter tief sind. Laut einer Studie der Hilfsorganisation Terre des Hommes schuften bis zu 22.000 Kinder dort täglich bis zu 12 Stunden für einen Hungerlohn. Die jüngsten Mica-Schürfer*innen sind gerade mal vier Jahre alt. Viele der Kinder leiden bereits unter Atemwegserkrankungen und Staublunge.
Noch verschärft hat die weltweite Corona-Pandemie die Problematik. Vor allem in den Minen der indischen Bundesstaaten Bihar und Jharkhand hat sich die Situation der Kinderarbeit laut Terre des Hommes verschlimmert. Wegen der geschlossenen Schulen gab es auch keine Schulspeisungen – katastrophal für die Ärmsten der Armen. Immer mehr Tagelöhner mussten sich und ihre Familienmitglieder mit Mica-Abbau durchbringen. Diese existenzbedrohende Situation wurde noch zusätzlich ausgenutzt, indem der Verdienst in den Minen pro Tag und Person weit unter die Armutsgrenze von 1,90 Dollar sank.
Alternativen für Mica
Die INCI-Nummer CI77019 auf einem Produkt lässt den Verbraucher*in nicht erkennen, aus welchem Land das verwendete Mica stammt und ob es unter fairen Bedingungen geschürft wurde. Deshalb ist die RMI-Mitgliedschaft des Herstellers ein guter Richtwert. Nachfragen kann man die Herkunft des Pigments auch bei den Firmen und im Handel, beispielsweise über das Kontaktformular auf der Website oder über die Accounts der Unternehmen in den sozialen Medien.
Unbedingt hartnäckig bleiben oder keine Produkte mehr mit Mica kaufen bzw. gleich auf eine Alternative ausweichen, wenn es unbedingt Glimmer und Glitzer sein muss. Denn inzwischen ersetzen einige Kosmetikfirmen Mica bereits durch pflanzliche Alternativen wie Glitter aus Zellulose oder durch synthetische Herstellung (Synthetic Fluorophlogopite). Auch Bio-Kunststoffe werden eingesetzt. Die sind allerdings nicht unumstritten, da biobasierter Kunststoff nicht automatisch biologisch abbaubar ist.
CultureAndCream-Autorin aus München
Beruflich als Beauty-Journalistin zu reisen, war mir nicht genug. Sechs Monate Weltreise haben auch nicht gereicht. Immer wieder zieht es mich in andere Städte, fremde Länder, zu Roadtrips und an Locations, die man kennenlernen sollte. Mich interessieren nicht nur „culture“ und „cream“, sondern auch Menschen, die Geschichten zu erzählen haben. Auf solche Reisen möchte ich euch mitnehmen.