Wir machen dann mal ein Bar
Wenn Dirk Walther über Bars spricht, hat das nichts mit Alkohol zu tun. Vielmehr mit einer kleinen, feinen Haar-Beautylinie, die er gerade mit drei Shampoo-Bars gestartet hat.
Die Inspiration dazu kam dem Hairstylisten, als er vor vier Jahren, wie so häufig, eine Auszeit in seinem kleinen Lieblings-Dorf in Sri Lanka verbrachte. Denn statt auf der perfekten Welle türmte sich hinter dem leidenschaftlichen Surfer plötzlich ein stinkender Plastikteppich, circa dreihundert Meter im Radius. „Das Plastik war etwa einen Meter hochgestapelt und trieb auf uns zu. Alles roch nach Gülle“, erinnert sich Dirk noch mit Schaudern. Das war für ihn eine Initialzündung. Speziell, als er am nächsten Tag noch mitbekam, wie der Plastikberg, inzwischen auf der Straße aufgebaut, verbrannt wurde.
Nachhaltigkeit und Wiederverwertung
Beides war schon im Elternhaus des gebürtigen Kulmbachers Thema. Seine Mutter trieb auf kommunalpolitischer Ebene die Mülltrennung schon früh voran. Der Vater entwickelte für seinen Textilbetrieb Maschinen, bei denen man Farbstoffe für Gore-Tex- oder Teflon-Textilien wieder verwenden konnte und nicht mehr ableiten musste. Nachhaltigkeit, so hat er daraus gelernt, ist für jeden machbar. „Wenn jeder in seinem Bereich oder im Kleinen etwas dazu beiträgt, hat man irgendwann ein Riesending“, ist sein Credo.
Lockdown-Idee: Shampoo-Bar
Dennoch darf man das nicht zu verbissen sehen. Sein Ansatz: Gutes für sich und die Umwelt tun, aber mit Stil und Spaß. Und so entstand aus der Begegnung mit einer Plastikmüllwelle eine kleine runde Sache, die die Welt ein bisschen besser machen will. Autorin Margit Hiebl war eine der ersten Testerinnen und sprach mit Dirk Walther über sein Lockdown-Baby…
Wir entwickeln dann mal ein Shampoo-Bar … klingt nett, aber so einfach ist das doch nicht?
Dirk Walther: Na ja, so ein bisschen Erfahrung habe ich in den letzten 25 Jahren als Kreativer und Consultant für Kosmetikunternehmen im Bereich der Produktentwicklung schon gesammelt. Auch, als ich vor über 10 Jahren während meiner Zeit in London mit Paul Windle Produkte entwickeln durfte. Schon damals war es meine Idee, nachhaltiger zu gehen.
Wie kam es jetzt zu den eigenen Produkten?
Nach dem Erlebnis mit dem Plastikteppich hat mich die Idee nicht mehr losgelassen, dass man etwas verändern muss. Gleichzeitig bin ich auf die ersten Shampoo-Bars gestoßen – doch ich fand, dass deren Performance nie richtig gut war. Mit Annika, einer Mitarbeiterin im Salon, die ihre Kosmetik selbst herstellt, haben wir erste eigene Versuche gestartet. Doch dafür braucht man Zeit, die ich mit dem Salon München, dem Pendeln nach London oder Mailand als Hairstylist für Fashion-Shows oder Fotoshootings rund um den Globus nicht hatte. Und dann kam der Lockdown.
… und damit viiiel Zeit
Genau. Und da ich ein sehr strukturierter Mensch bin, konnte ich nicht einfach nichts tun. Da kam mein alter Traum wieder ins Spiel. Ich habe alle meine Notizen und alte Bücher herausgezogen, dann etwa 30 Shampoo Bars zerlegt und mit flüssigen Shampoos verglichen. Dabei fiel mir auf, dass sich nie einer an der Mischung von Flüssig-Shampoos orientiert hat.
Das heißt?
Es geht um das richtige Verhältnis von Proteinen und haarpflegenden Stoffen zu Tensiden. Wochenlang habe ich an Rezepturen getüftelt und in meinem Lieblingsbuch, einem alten Friseur-Fachbuch von 1884, gestöbert. Darin habe ich interessante Rezepturen für Shampoos und längst vergessene Inhaltsstoffe entdeckt, wie z.B. Brokkolisamen-Öl, das früher für die ersten Haarfarben verwendet wurde, da es die Schuppenschicht des Haares schließt. Fast wie ein künstliches Silikon, aber im Haar löslich und abbaubar.
Mein Plan war: Die Inhaltsstoffe so regional wie möglich, so wenig Inhaltsstoffe wie möglich, die mildesten, abbaubaren Tenside und so wenig Wasser wie möglich zu verbrauchen. Also habe ich Rohstoffe bestellt, daheim zusammengemischt und in Eiswürfelformen gedrückt. Dann Freunden oder Kunden zum Testen gegeben.
Vergess ich nicht …ich war auch so ein Guinea Pig
Ja, und eine echte Herausforderung. Du und meine Frau Meike waren eine Challenge… bis ich eine Mischung fand, die auch für lockige Haare funktioniert! Und so kam ein Testbar auch zu Sabine und Stefan Fasching, die schon lange meine Kunden waren und wie sich dann herausstellte, die Inhaber der Firma Sagitta. Ein Münchner Familienunternehmen, das aus einer Apotheker-Tradition entstanden ist und sich healthy habits auf die Fahne geschrieben hat.
Das nennt man Fügung
Ja, es hat einfach gepasst! Wir haben uns zusammengesetzt und für beide Seiten war klar, dass es ein Herzensprojekt sein sollte. Aber auch solche müssen sich tragen. Wir denken: Wenn es vom Herzen ist, wird es ein gutes Produkt und das trägt sich auch. Und jeder hatte das, was der andere nicht hatte: Ich komme von der Mode und hab die Rezeptur, sie haben ein Labor für professioneller Produktentwicklung und kennen sich mit Sicherheitsprüfungen und all dem aus.
Wie lange dauerte es bis zum fertigen Shampoo-Bar?
Etwa ein Jahr lang! Denn wir haben immer wieder getüftelt und verbessert, auch indem wir etwas weggelassen haben, wie ein ätherisches Duftöl, weil diese Konservierung enthalten. Brauchten wir auch nicht, denn die Inhaltsstoffe duften ja selbst. Dennoch war ich nervös vor den Sicherheitsprüfungen und Keimtests, weil wir mit Pulvern arbeiten, die nicht chlorisiert sind. Doch die Tests haben wir mit Bravour bestanden, weit unter der erlaubten Keimzahl. Wir gehen davon aus, dass das mit dem präbiotischen Inhaltsstoff Inulin, einer Zuckerverbindung, die das Mikrobiom der Haut nährt, zusammenhängt.
Was steckt sonst noch in den Bars?
Der Grundstock der drei Bars ist ein Tensid aus Kokosnuss. Es ist besonders mild und entzieht dem Haar nicht so viel Feuchtigkeit bei guter Reinigungskraft. In „Clean“ haben wir zusätzlich mazedonische Brennessel und Birkenblätter, die kräftigen. Außerdem Teebaumöl, das desinfizierend wirkt, und Minzöl, das die Durchblutung fördert und so die Haarwurzeln nährt. „Moist“ spendet Feuchtigkeit und Pflege mit Sheabutter, Argan- und Mandelöl, beschwert aber nicht, sondern macht frizzy hair durch Brokkolisamen-Öl geschmeidiger und glänzend. Und „Treat“ macht mit Hanföl, Brokkolisamen-Öl sowie Eibischwurzel selbst dickes, poröses Haar geschmeidig.
Was hat es mit dem Säckchen auf sich?
Mich nerven Seifenschalen, vor allem auch, weil die Seife darin immer ein bisschen feucht bleibt. Die Alternative war: aufhängen! Und weil die „soap on a rope“ auch nicht wirklich funktioniert und irgendwann bricht, entstand die Idee des Säckchens, das zudem sehr nachhaltig. Darin trocknet das Produkt an der Luft und lässt sich restlos aufbrauchen. Es funktioniert beim Aufschäumen auf dem Kopf wie ein sanftes Peeling, ohne die Haarstruktur anzugreifen.
Man kann es bei 30 Grad waschen und wieder verwenden. Oder an uns zurückschicken – dann desinfizieren wir es und verwenden es wieder. Und last but not least sparen wir damit Verpackung, da es als solche genehmigt ist. Wir benötigen deshalb zum Versenden nur einen Karton. Die Stoffe von der Firma Rehbeutel sind Reste aus der Gardinenproduktion. Deshalb gibt es auch unterschiedliche Designs.
Und was macht man auf Reisen mit seinem Shampoo-Bar?
Dafür gibt es Alu-Dosen. Wir haben uns verschiedene Stoffe angeschaut: Glas ist zu schwer, nachhaltige Kunststoffe verbrauchen irre viel Energie. So kamen wir auf recycelte Alu-Dosen – sie sind leicht, strapazierfähig und rosten nicht. Da legen wir ein Scheibchen Luffa-Schwamm rein, das die Feuchtigkeit aufsaugt, nachdem man sich morgens die Haare gewaschen hat.
Und einige sind sogar kleine Streetart-Objekte…
Ja, wir haben aktuell eine Auflage von 100 Dosen von Münchner Sprayern aus dem Kollektiv Broke.Today gestalten lassen.
Ist das nachhaltig?
Berechtigte Frage, die wir uns auch gestellt haben. Die Antwort: Nein, eigentlich nicht. Und doch: Es ist ein Kunstwerk, und das bewahrt man. Diese Dosen verkaufen wir auch für 20 Euro. Das deckt den Selbstkostenpreis und der Rest geht an die Künstler. Auch so schließt sich ein Kreislauf.
Wie lange kann man den Bar benutzen?
Die Deklaration sagt ein Jahr. Wir empfehlen sechs Monate, da wir auch nicht so lange auf Halde produzieren wollen, damit wir auf Konservierungsmittel verzichten können und nichts wegwerfen müssen. Das passt auch, denn bis zu 40 Haar-Wäschen kann man mit einem Bar machen.
Was hat dich rückblickend in der Entwicklung am meisten gefordert oder überrascht?
Ach, vieles! Abgesehen davon, dass der Pflegeanspruch für alle Haare passen musste, zum Beispiel auch, wie schwierig es ist, einen chicen Bar herzustellen: Er sollte nicht gepresst oder trocken aussehen, sondern solide, rund, mit abgerundeten Kanten – cool halt. Eine weitere Challenge war, so wenig Strom und Wasser wie möglich zu verbrauchen. Wir brauchen Strom nur fürs Mixen, das machen wir mit einem Handmixer. Außerdem für die Waage und ein bisschen für die Herdplatte, um die Sheabutter anzuwärmen.
Der Rest ist Handarbeit: Jeder Bar wird einzeln gepresst, dazu haben wir wochenlang getestet, welcher Druck optimal ist. Und diesen Ansatz würden wir uns auch gern bewahren. Zum einen, weil Massenproduktion viel Wasser erfordert, zum anderen, weil ich es schön finde, etwas Handgemachtes weiterzugeben.
Shampoo Bars von Sagitta x Barnet, 50 g, 20 Euro inklusive Säckchen aus recyceltem Stoff. Erhältlich bei sagittamed.de oder bei Barnet Concept in München. Die Bars sind vegan, frei von tierischen Inhaltsstoffen. Alle Inhaltsstoffe sind nachhaltig, also in der Natur abbaubar, viele aus kontrolliert biologischem Anbau.
Fotos: Jens Mauritz (8)
CultureandCream-Autorin aus München
Seit vielen Jahren schreibe ich als Beauty- und Lifestyle-Autorin für Magazine wie Vogue oder Glamour. Was mich immer wieder treibt: Nicht nur das Produkt oder der Trend, sondern die Menschen und die Story dahinter – und was es mit uns macht. Außerdem führt mich mein Job oft an die schönsten Plätze dieser Welt. Auch privat findet man mich gern in der einen oder anderen Wellness-Location, Recherche nicht ausgeschlossen. Culture and Cream also. Immer im Gepäck: Duft, Sonnenschutz und Lippenstift. Farbe? Rot. Was sonst